" Werk Lusern "

Kriegstagebuch  des Werkskommandanten 

Entnommen aus dem Roman  
"Sturm über den Werken"
von Albin Kühnel

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Ulrich Mößlang der Tauchbrillenspezialist
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Ulrich Mößlang Optik Heydenreich der  Tauchbrillenspezialist  und  zertifizierter Sport-Optiker  
  
Fernkampfwerke, Bunker, Infanteriestützpunkte, Stellungen und Festungen der Österreicher und Ex Forte der Italiener aus dem ersten Weltkrieg in den Alpen, Dolomiten, Verona, Venezien und Friaul.  Denkmäler in München, Bayern und dem Rest der Welt.

 

 
Werk Lusern mit Beschussschäden. Auf dem Hügel links befindet sich heute das Denkmal. Im Vordergrund ist ein Stabswagen, die Personen, die zur Besichtigung gekommen sind befinden sich leicht verdeckt hinter dem Auto und schreiten zum Eingang.

Die dritte Beschussperiode 
(01. April bis 20. Mai 1916)

 

April 1916  

Verschiedene Arbeiten der Werksbesatzung. Regen Patrouillentätigkeit und Stoßtruppunternehmungen des Italieners gegen Werk „Lusern“.

 

Beginn der III. Beschußperiode. Vergeblicher Versuch des Gegners, die Seilbahnstation auf Monte Rover durch 28 cm- und 14,9 cm-Beschuß zu zerstören. Am 9. April wiedereinsetzender 28 cm Beschuß. Am 10. April neuerlicher Beschuß mit 30,5 cm-Kalibern und schweren Schäden an den reparierten Drehpanzern und Betonbauten.
„Um 11 Uhr vormittags des 10. April begann die feindliche Artillerie das Werk neuerlich aus verschiedenen Kalibern zu beschießen. Bis zum Abend wurden 154 feindliche Schüsse, und zwar 15 cm, 21 cm und 28 cm gezählt. Die rechte Panzerkuppel erhielt einen Treffer und wurde in den Graben geworfen.
Auch am 11. und 12. setzte der Feind die Beschießung fort. An letzterem Tage wurde eine weitere Panzerkuppel des Werkes vom Platz geschleudert. Die Beschießung am 13. war nur noch schwach. Das Werk Lusern wurde durch die Beschießung der letzten Tage vollständig außer Gefecht gesetzt. Sämtliche Panzertürme und Beobachtungsstände waren gefechtsunbrauchbar geworden.
Trotzdem erneuerten die Italiener am 16. und 21. wieder die Beschießung. Am erstgenannten Tag erlitt das Werk einen Durchschlag in der linken Flanke, am letztgenannten wurde der feste Beobachtungsstand des Werkes demoliert.“

(Artur Reutter Edler von Vallone: „Barbara und Gudrun“, Wien-Leipzig-Olten 1937, S. 23)

 

Zeitweiliger Beschuß auch der beiden Nahkampfwerke „Viaz“ und „Oberwiesen“

„Auch auf den Beobachtungsstand der Barbara bei Viaz wurden am 16. April 74 Schüsse abgegeben, die keinen wesentlichen Schaden verursachten. Am 17. gab der Feind auf dieses Ziel 96 Schuss aus verschiedenen Kalibern ab; desgleichen wurde Viaz am 18. beschossen, ohne dass indes die Panzerkuppel getroffen worden wäre. 

Neue Orde de Bataille und Neuverteilung des Frontabschnittes Lavarone im Zuge der Offensivvorbereitungen für den Frontdurchbruch.

Weitere schwere Schäden durch den 30,5 cm- und 28 cm-Beschuß bis zum Monatsende. Sehr gute Bewährung der eingebauten Trägerroste auf der Betondecke oberhalb der Traditorenbatterie und um den Vorpanzer der Turmhaubitze Nr. IV.

 

Mai 1916  

Regste feindliche Stoßtruppunternehmungen gegen Werk „Lusern“. Schwierige Unterbringung der über 100 Mann starken eigenen Artilleriebeobachter und des dazugehörigen Personals. Geänderte und neue Ordre de Bataille für den Offensivbeginn im Abschnitt Lavarone.  

Munitionsabgabe des Werks „Lusern“ an 8 cm-Kanonenmunition auf Befehl des neuen Brigadekommandos an das Feldkanonenregiment Nr. 28.  

Laufende Werksbesichtigungen hoher und höchster Stäbe im Werksabschnitt.

Am 12. Mai werden durch einen Rohrkrepierer in der Granatwerferbatterie des Werkes zwei Granatwerfer demoliert. Ein Munitionsbrand vernichtet den halben Munitionsbestand. Tote und Verwundete in der Granatwerferbatterie.  

Laufender 28 cm-Beschuß.  

Am 15. Mai Beginn der Offensive im Abschnitt Folgaria mit großen Angriffserfolgen. Feuereröffnung der 38 cm-Haubitze „Barbara“ gegen die italienischen Panzerwerke „Punta Corbin“ und „Casa Ratti“ mit Schußbeobachtung von der Nahkampfanlage „Viaz“ aus. Unerträgliches Warten der Werksbesatzung auf den Offensivbeginn im Abschnitt Lavarone.

Laufender 28 cm-Beschuß des Werkes „Lusern“.  

Am 18. Mai 1916 ist die italienische Front im Abschnitt Folgaria restlos durchbrochen, der Feind auf der Flucht.  

Am 19. Mai sehr starker 28 cm-Beschuß mit einem Panzertreffer in der Ringfuge der Turmhaubitze Nr. IV. Tag- und Nachtreparatur durch den Skodamonteur, um den Schaden vor dem Offensivbeginn auf Lavarone zu beheben.

 

20. Mai 1916  

Die 10 cm-Turmhaubitze Nr. IV (ist) wieder voll einsatzfähig. Offensivbeginn auf Lavarone mit schönen Anfangserfolgen. Rückschlag am Costesin. Räumung der dortselbst bereits eroberten Stellungen infolge stärkster Gegenangriffe des Feindes.  

 

21. Mai 1916  

Weitere Erfolge des Frontdurchbruchs. Vernichtungsfeuer aller auf Lavarone in Stellung befindlichen Batterien auf den Costesin und nachfolgende Eroberung desselben. Die Italiener in regelloser Flucht.

   

22. Mai 1916  

Für Werk „Lusern“ ist der Krieg zu Ende. Aufbrauch der gesamten Munitionsbestände. Besuch der Werksoffiziere auf Marcai und dem zerstörten Panzerwerk „Campolongo“.  

Laut Anweisung der Geniedirekt ion Trient wird Werk „Lusern“ voll erneuert und repariert. Für die Werksoffiziere und (die) Besatzung (ist) bereits (die) neue Verwendung im Rahmen der Division eingelangt. Abschied von den gefallenen Kameraden am Heldenfriedhof auf der Cost’alta. Auszug der Lusernbesatzung für neue Aufgaben.  

 

Mit dem Abzug der Besatzung des Werks „Lusern“ nach dem erfolgreichen Durchbruch der italienischen Stellungen auf der Hochebene von Lavarone durch die k.u.k. Truppen endeten die Eintragungen des Werkskommandanten im Werkstagebuch und damit auch die summarische Zusammenfassung dieser Eintragungen durch Karl Lipscher.  

Nach der Einstellung der österreichisch-ungarischen Frühjahrsoffensive Ende Juni 1916 verlief die neue Frontlinie bis zum Kriegsende im November 1918 über die Hochfläche der Sieben Gemeinden. Das Werk „Lusern“ lag seither so weit hinter der Front, dass es aktiv in die Kämpfe nicht mehr eingreifen konnte. Ende Mai 1916 unterzogen Organe des k.u.k. Generalgenieinspektors das Werk „Lusern“ einer genauen Überprüfung seiner passiven und aktiven Abwehrkraft und kamen dabei zu folgendem Ergebnis:  

„Als Bauwerk ist Lusern noch mehr hergenommen als Verle und sind die mindere Qualität des Betons und die sehr brüchige Felsvorlage der Gräben an den teilweise schweren Betonschäden schuld. Die Erhaltung des Werks bis zur Offensive 1916 ist nur dem Werkskommandanten zu verdanken.“  

Wesentlich informativer ist das Urteil Oberst Ellisons, der bereits am 22. Mai 1916 in seiner „Zusammenstellung und Auswertung der durch den Feindbeschuss mit Schwerstkalibern auf das Werk Lusern erzielten Panzer-, Beton- und Werkstreffer in den drei Beschussperioden vom 24. Mai 1915 bis 20. Mai 1916 nebst Trefferprozenten“ folgendes ausgeführt hat:  

„Das Werk Lusern hatte durch die letzte Beschießung speziell an Panzerobjekten schwere Schäden erlitten und ist in seinem derzeitigen Zustand nur als Nahkampfstützpunkt bedingt zu werten. Der Frontgraben ist nahezu verschüttet und die Hindernisse schwerst in Mitleidenschaft gezogen. Mit den derzeitigen Hilfsmitteln des Werkes können nur die Hindernisse ausgebessert werden. Die Behebung aller sonstigen Betonschäden und (die) Panzerreparaturen erfordern viel Zeit; ein Abschluß dieser Arbeiten ist ganz unbestimmt.“  

Ungeachtet dessen begann man bereits Ende Mai mit den Wiederherstellungsarbeiten. Nach Abschluss derselben wurde Werk „Lusern“ zusammen mit den anderen Werken der Lavaronegruppe als Infanteriestützpunkt in die zweite Widerstandslinie integriert, aber weitgehend desarmiert. Zurück blieben nur die beiden 8 cm-Minimalschartenkanonen M 09 in der Traditorenbatterie, ein 6 cm-Kasemattgeschütz M 10 in der Grabenstreiche und zwei Maschinengewehre. Die drei noch intakten Turmhaubitzen M 09, eine Kasemattgeschütz und die restlichen Maschinengewehre hingegen wurden in der nunmehrigen vordersten Widerstandslinie eingebaut. Die folgenden Kriegsereignisse machten einen Kampfeinsatz des Werks „Lusern“ jedoch nicht mehr erforderlich.  

Als der Krieg vorüber war, ging das Werk „Lusern“ in das Eigentum des italienischen Staates über. Mit Dekret vom 12. August 1927 wurde es aus dem Staatsbesitz ausgesondert und am 01. Juni 1930 der Gemeinde Lusern gegen eine jährliche Anerkennungsgebühr von 100 Lire überlassen. Drei Jahre später, nämlich am 03. Juni 1936, kaufte es die Gemeinde Lusern für 31.000 Lire an und erteilte bereits am 16. des gleichen Monats dem Tridentiner Unternehmen Mondini die Genehmigung, das Werk auszuschlachten. Alles, was die Altmaterialsammler nach Kriegsende nicht schon nach Kriegsende abmontiert hatten, nämlich die Panzerungen und die Stahlarmierung, wurde durch Sprengungen freigelegt und abtransportiert.

Das Werk „Lusern“ aber wurde darüber zu einer Ruine, als die es sich auch heute noch dem Besucher darbietet. Vor wenigen Jahren ergriff die Gemeinde Lusern, der die Werksruine auch heute noch gehört, unterstützt von der Autonomen Provinz Trient, Maßnahmen zur Sicherung und Erhaltung der Werksruine. Sie begann 1990 damit, die von der Demolierung in den Dreißigerjahren herrührenden Schuttberge beim Hauptwerk und bei den beiden Nahkampfanlagen „Viaz“ und „Oberwiesen“ zu beseitigen. Die Reste der tragenden Strukturen wurden gesichert und Zwischenböden eingezogen. Auch die 210 m lange Poterne zwischen den beiden Stützpunkten ist wieder begehbar. Zur Zeit (2003) laufen Restaurationsversuche am Batterieblock.

 

Die weiße Fahne von Lusern  

 

Wegen der versuchten Übergabe des Sperrforts Lusern an den Feind wurde ein Prozess vor dem Militärgericht geführt. A. Tomasini, der an der Verhandlung vor dem Kriegsgericht in Trient teilgenommen hat, berichtet darüber folgendes: 
(
„Ricordi del Tribunale di Guerra a Trento 1914 - 1918“ von A. Tomasini - Arti Grafiche „Tridentum“ 1923 S. 73 - 83)
 

Dem ersten Prozeß, der nach der Kriegserklärung stattfand und dessen Führung einem neuen Untersuchungsrichter übertragen worden war, kam große Bedeutung zu, bis heute ist in der Öffentlichkeit wenig darüber bekanntgeworden.  

Ende Mai rief der Artillerieoberst Terboglav, nachdem er wenige Minuten zuvor mit dem obersten Untersuchungsrichter gesprochen hatte, beim Sperrkommando an und teilte mit, daß bald ein Automobil des Gerichtes eintreffen würde. Zusammen mit Dr. Eder und mir nahm er darin Platz. Gleich ging die Fahrt los; wir passierten die Festungsmauern von Matarello und Calliano, durchquerten Folgaria, Carbonare, Lavarone und Monte Rover und machten bei einem von dichtem Wald geschützten Barackenlager auf Cost’alta halt. Man konnte feststellen, daß wir erwartet wurden, denn alle Offiziere und Soldaten des Abschnitts blickten uns mit einer Mischung aus Neugier und Furcht entgegen.  

Der Untersuchungsrichter betrat eine Baracke, die halb unter der Erde lag. Er blieb ein paar Minuten in einem nur wenige Quadratmeter großen Raum, der gleichzeitig als Telefonzentrale, Schlafraum für Offiziere, Lebensmitteldepot, Kanzlei und medizinisches Ambulatorium diente und unterhielt sich mit Offizieren der Kampftruppen. Ich hörte zu, neugierig, den Grund für die hastige Einberufung eines Kriegsgerichts so nahe an der vordersten Front zu erfahren. In der Nähe schlugen ein paar Granaten ein und ich folgte dem Beispiel der anderen und suchte, so gut es ging, Schutz. Da ich mit dem Beginn meiner Arbeit noch warten mußte, spazierte ich im Wald herum und beobachtete das Leben und Treiben an der Front, die ich zum ersten Mal erlebte.  

Überraschend für mich traf ich Dr. Gasperi, einen mir bekannten Arzt, der - als Stabsarzt gekleidet - allein umherschweifte. Er erzählte mir, daß ein Offizier des Sperrfort Lusern unter Arrest gestellt worden sei, weil er kapit uli eren wollte. Wir entfernten uns etwas von den neugierigen Zuhörern, denn wir unterhielten uns auf Italienisch, und Dr. Gasperi berichtete mir - heftig bewegt - von den Wechselfällen der ersten Kriegstage. Er nahm sich kein Blatt vor den Mund, denn wir wußten beide, was wie von einander hielten.  

Als es zu dunkeln begann, traten die Offiziere wieder ein; eine Lampe wurde angezündet, die Fenster zur italienischen Front hin wurden hermetisch abgeschlossen und die aus Säcken und Decken bestehenden Vorhänge zugezogen.  

Die Arbeit fing an. Der Richter begann mit der Voruntersuchung über die versuchte Übergabe des Sperrforts an den Gegner. Ich fing mit den Verhören an: Sieben, acht Offiziere und hundertfünfzig Soldaten! Ich schrieb nach Diktat, stundenlang, die ganze Nacht hindurch und den nächsten Tag. Nachstehend folgt eine kurze Beschreibung des Werkes und der Ereignisse.
 Das Sperrfort hatte ein sehr exponierte Lage und stand am nähesten an der italienischen Grenze. Es besaß drei (vier! - A.d.Ü.) Panzerkuppeln, war vorzüglich bewaffnet, reichlich mit Munition und Verpflegung versehen und verfügte über einen großen Tank, der mit Benzin gefüllt war. Das Werk war durch eine ausgebaute Widerstandslinie mit den Stützpunkten Viaz und Oberwiesen sowie dem Werk Gschwendt und darüber hinaus mit den Werken S. Sebastiano-Serrada bzw. Verle und Spizzo verbunden.  

Das Sperrfort Lusern einschließlich seiner Stützpunkte Viaz und Oberwiesen wurde vom Artillerieoffizier Nebesar, einem Tschechen, kommandiert. Im Werk selbst waren drei weitere Offiziere, der Arzt Dr. Gasperi sowie 150 Artilleristen. Bei der Kriegserklärung Italiens wurde die Widerstandslinie zwischen allen Werken auf der Hochebene von Folgaria, Lavarone und Vezzena von Standschützen, Männern zwischen 16 und 18 bzw. zwischen 50 und 65 Jahren, sowie von Gendarmen und Finanzwachbeamten besetzt. Reguläre Truppen waren überhaupt keine vorhanden, wenn man von den wenigen Artilleristen in den Werken einmal absieht.  

Am 25. Mai wurde das Sperrfort Lusern von der italienischen Artillerie aufs Korn genommen; das Feuer dauerte ohne Unterbrechung bis zum 28. Mai. Dabei wurde das Werk von nicht weniger als 5.000 Granaten aller Kaliber getroffen, vor allem aus 280 mm-Geschützen.  

Die St ahlpanzertürme waren zerschlagen, die Hälfte der Turmhaubitzen fernkampfunfähig, der 50 cm starke Hauptpanzer durchschlagen, so daß die große Gefahr bestand, daß die starke Decke über dem Benzintank nicht mehr standhielt und die Explosion einer Granate zum Tod aller Soldaten führen würde. Drei Tage hatte man im Werk nicht mehr geschlafen, seit drei Tagen war keine Nachricht mehr von draußen hereingekommen, weil auch die Telefonleitungen, obwohl zwei Meter tief in den Fels verlegt, von den Einschlägen unterbrochen worden waren. Eine optische Signalgebung war unmöglich.  

Die eingeschlossenen Soldaten, denen der Ausweg versperrt war, waren machtlos, die Offiziere wie gelähmt. Die pausenlosen Einschläge verursachten immer mehr Sprünge bei den Innenmauern. Alle Räume im Werk, die Gänge, die Depots waren voller Gas. Es blieb nichts anders übrig, als das Feuer auszumachen. Die armen Männer, lebendig begraben und einem Hagelsturm schwerster Granaten ausgesetzt, hatten keine Möglichkeit mehr, Hilfe herbeizuholen. Übrigens wäre es auch unmöglich gewesen, Hilfe zu bringen. Man befürchtete jeden Augenblick, daß das Munitionsdepot oder der Benzintank in die Luft fliegen würden. Die Beleuchtung war nur noch schwach, die Luft trüb und gasgeschwängert. Nebesar versammelte die wenigen Offiziere um sich und hielt Kriegsrat. Man entschloß sich zu kapit uli eren, weil jeder Widerstand zwecklos und der Tod sicher schien; dies umsomehr, weil man allgemein der Meinung war, das Werk sei von italienischen Truppen eingeschlossen. Nebesar las aus dem Diensthandbuch die Kapitulationsbedingungen vor; danach warf er sich auf seinen Strohsack, raufte sich die Haare und befahl unter Tränen, die weiße Fahne zu hissen. Offiziere und Soldaten suchten nach einer Stange, an der sie ein Leintuch befestigen konnten. Danach setzten sich die Mutigsten der Gefahr aus, die weiße Fahne zu hissen. Schlagartig hörte die Beschießung auf. Nebesar und die Offiziere vernichteten die Dokumente und das vorhandene Bargeld (16.000 Kronen). Die Artilleristen arbeiten fieberhaft daran, die Lebensmittel, Gewehre, Maschinengewehre und Geschütze unbrauchbar zu machen. Dr. Gasperi wurde zum Parlamentär bestimmt, verließ zusammen mit einem weiteren Offizier das Werk, begab sich auf die Glacis und wartete auf einen italienischen Offizier, dem er das Werk und das Gelände in der Umgebung übergeben sollte. Er wartete lange, die weiße Fahne flatterte im Wind, aber die Italiener kamen nicht.  

Plötzlich setzte starkes Trommelfeuer ein. Es waren die benachbarten österreichischen Werke, die Lusern unter Feuer nahmen. Die Parlamentäre zogen sich wieder zurück, und nach wenigen Minuten traf eine deutsche Patrouille ein, die auf das Werksverdeck kletterte und die weiße Fahne herunterriß. Kurz darauf verließ Nebesar das Sperrfort; er war mehr tot als lebendig und begab sich zu dem etwa 20 Minuten entfernten Cost’alta. Dort wurde er gefesselt und zum Festungskommandeur nach Trient gebracht. Von diesem verlangte er Waffe und bat um Erlaubnis, Selbstmord begehen zu dürfen. Der Ärmste, der so schmutzig und schwarz wie ein Kohlenbrenner war, zeigte Anzeichen von Unzurechnungsfähigkeit und wurde daher in ein Spital gebracht. Er wurde eingesperrt und man beschloß, ihm und seinen Offizieren wegen Feigheit vor dem Feind und Übergabe eines festen Platzes ohne entsprechende Notwendigkeit den Prozeß zu machen.  

Die rund 150 Soldaten des Werkes, die alles miterlebt hatten, beschrieben - als Zeugen der Kapitulation verhört - den Ablauf des Geschehens so, wie er oben geschildert ist. Nachdem die Ermittlungen abgeschlossen waren, begaben wir - der Richter und ich - uns nach Trient, um Nebesar, der immer noch darum bettelte, sich erschießen zu dürfen, einem ersten Verhör zu unterziehen. Er schilderte die Übergabe des Werkes genauso, wie es seine Untergebenen getan hatten und behauptete, das Werk sei von italienischen Truppen vollkommen eingeschlossen gewesen, und daß nicht nur jeder Widerstand sinnlos gewesen sei, sondern eine Meuterei seiner Soldaten befürchtet wurde, die - lebendig begraben - ihm den Gehorsam verweigert hatten und nicht mehr zu beruhigen waren.  

Im Untersuchungsverfahren, das sehr lange dauerte, wurde durch ein medizinisches Gutachten (Dr. Dejaco) bestätigt, daß Nebeser zu der Zeit, als er das Fort im Stich gelassen hatte, voll zurechnungsfähig gewesen sei.  

Viele Monate später fand die Gerichtsverhandlung statt, bei der Nebesar und sein Offiziere freigesprochen wurden; sie seien zu erschöpft und erregt gewesen. Nach dreitägigem Kampf auf Leben und Tod sei er auch mit seinen Kräften, Widerstand bis zum Äußersten zu leisten, am Ende gewesen. Der Freispruch wurde nicht bestätigt, es kam zu einem zweiten Prozeß, der wie der erste ausging. Daraufhin wurde ein drittes Mal verhandelt, wieder mit dem gleichen Ergebnis.  

Schließlich wurde auf Befehl des Erzherzogs Eugen die ganze Voruntersuchung im Jahre 1918 noch einmal neu begonnen, denn man wollte unbedingt, daß Nebesar (ein Tscheche) bestraft wird.  

Ein sonderbarer Zufall - denn ich war 1918 nicht mehr in Trient - wollte es, daß der neue Prozeß vor dem Militärgericht in Innsbruck stattfinden sollte, wo ich mich aufhielt, und ich zum Schriftführer bestellt wurde. Der seinerzeit dafür zuständige Richter, Kauer, eröffnete ihn und wir begaben uns von Innsbruck nach Lusern, wo wir zusammen mit Technikern des Militärgeniestabes einen Ortstermin veranstalteten. Die alten Zeugen aus dem ersten Prozeß waren mittlerweile über die ganze Monarchie verteilt: In Rußland, in Serbien, in Rumänien und in der Türkei. Der Richter mußte sie finden und verhören. Nebesar befand sich auf freiem Fuß. Lang und interessant wäre eine Schilderung der letzten Phase dieses Prozesses, aber mir ist es nicht erlaubt, die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen wiederzugeben, von denen einen Bestrafung Nebesars hätte abhängen können. Das Kriegsministerium und der Appellationsgerichtshof drängten darauf, General Können-Horack zur Frage der Kapitulation zu hören. Dieser war 1915 Kommandeur der Festung Trient.  Jetzt befand  er sich in Vezzano,

wohin ich mich mit dem Richter begab, um seine Aussage einzuholen. Der General befahl mir, an seinem Tisch Platz zu nehmen. Die beiden Offiziere blieben stehen und nach Erledigung der üblichen Formalitäten sagte der Richter: „Excellenz, ich muß zwei Fragen an Sie richten, nämlich: 1. Ist das Werk Lusern zu Angriffs- oder zu Verteidigungszwecken erbaut worden? 2. Hätte eine Kapitulation des Werks Lusern Folgen gehabt und wie hätte sich das auf unsere Maßnahmen und Befehle ausgewirkt?“  

Die Anwort auf diese beiden Fragen dauerte zwei Stunden; während dieser Zeit diktierte mir der General. Mit der ersten Frage wollte die Justiz ergründen, ob das Werk so stabil gebaut war, daß eine Zerstörung unmöglich war, und ob das gewaltige Bauwerk im Falle seiner Zerstörung noch nahkampffähig gewesen wäre. Durch die zweite Frage wollte die Justiz geklärt wissen, ob die Übergabe des Werkes von solcher Tragweite gewesen wäre, daß beträchtliche Nachteile entstanden wären. Um es kurz zu machen: Der General beschränkte sich in seinem zweistündigen Diktat auf zwei  Antworten, denen er folgende Feststellung vorausschickte: „Das Kommando der Südwestfront hat mich darüber unterrichtet, daß ich dem Militärgericht alle Fragen über die Kämpfe von Lusern, die an mich gestellt werden, beantworten muß, und daß ich dem Gerichtshof gegenüber von jeglicher Geheimhaltung befreit bin.“  

Erste Antwort: „ Das Werk Lusern wurde als Anwort auf die von Italien an dieser Grenze errichteten Festungen gebaut, und zwar zu Offensivzwecken.“  

Zweite Antwort: „Im Falle einer Übergabe und Besetzung des Werks Lusern wäre ich als General gezwungen gewesen, die Front auf folgende Widerstandslinie zurückzunehmen: Mattarello-Valsorda-Caldonazzo-Laghi-Col delle Bene-Panarotta und im Falle eines schnellen italienischen Vorstoßes sogar auf die Linie Monte Gazza-Gardolo-Calisio; die Festung Trient hätte aufgegeben werden müssen. Ein Rückzug wäre unvermeidlich gewesen, weil die Widerstandslinie zwischen den Werken nur von wenigen Tausend Männern gehalten wurde, die im Umgang mit Waffen nicht geübt waren und weil Reserven gänzlich fehlten.“ Der General sagte noch mehr, daß man nämlich in jenen Tagen damit rechnete, das ganze Trentino räumen zu müssen und daß die Abwehrkräfte zwar ausgereicht hätten, vorstoßende italienische Truppen zu behindern und ihren Vormarsch zu verlangsamen, aber niemals, um ihnen zu widerstehen. Der Fall Luserns wäre das erste geöffnete Tor in das Trentino gewesen. Die Tatsache, daß das aufgegebene Werk von den Italienern nicht besetzt worden sei, war für den General ein Zeichen dafür, daß sie gar nicht die Absicht gehabt hätten, das Trentino zu okkupieren; daher habe er sofort verfügt, daß die Abwehr verstärkt und Reserven herbeigeführt wurden.  

Der Prozeß wurde nicht mehr zum Ende geführt; der Waffenstillstand im Herbst 1918 kam dazwischen.    

Eduard Lakom
     der Erbauer des Werks „Lusern“, hat einmal geschrieben:  

„Niemand, der nicht selbst eine schwere Beschießung in einem Panzerwerk mitgemacht hat, hat das Recht, auf die beiden ursprünglichen Werkskommandanten in Lusern und Verle (die versagt haben) einen Stein zu werfen. Das Verschulden trifft allein jene, die nicht wußten, daß, so wie auf hoher See im Sturm der Kapitän eines Schiffes ein ganzer Mann mit Nerven aus Stahl, dies auch ein Werkskommandant, und vielleicht in noch höherem Maße, sein muß.“

Werk „Lusern“                                                                            Gruppenkommando Lavarone

 

 

Beschußzeit: Mai 1915                                                                 Oberst Ellison

 

Resümee

über den täglichen Feindbeschuß u. erhaltene eigene

artilleristische Kampfkraft  

Beschußtag

eigene Kampfkraft

 

 

Feindbeschuß

 

 

 

4/10 cm

T.H.

M. 08

2/8 cm-

M.S.K.

M. 08

2/6 cm-

M.S.K.

M. 08

11 M.G.

M

07/12

 

 

30,5 cm

Kaliber und abgegebene Schüsse

   21 cm        28 cm

 

 

14,9 cm

Werks-

treffer

23.

4

2

2

11

-

-

-

-

-

24.

4

2

2

11

-

-

-

100

-

25.

4

2

2

11

-

120

20

100

87

26.

3

2

2

10

-

180

20

100

124

27.

2

2

2

9

-

200

20

100

148

28.*

- **

- **

- **

- **

-

200

-

200

165

29.

-

-

-

-

-

100

-

100

64

30.

2

1

-

7

-

120

-

50

82

31.

3

2

2

11

 

100

-

50

81

Summe

3

2

2

11

--

1.020

60

800

751

 *   Versuchte Übergabe des Werkes an den Feind und Räumung desselben auf einige Stunden.  

** Auf Befehl des Werkskommandanten vor der vorübergehenden Räumung des Werkes durch Entfernen der Rohrverschlüsse und sonstiger Geschütz- und Lafettenteile unbrauchbar gemacht.

Ausfertigung: 22. Mai 1916                                                                                                                                            Gruppenkommando Lavarone

Ellison,    Oberst im Geniestab

 

N a c h w e i s u n g

über die auf das Werk „Lusern“ abgegebenen Feindschüsse und erzielten Treffer. Nur die Kaliber 30,5 cm, 28 cm und 21 cm sind in der Nachweisung berücksichtigt. Der eigene Munitionsverbrauch der Panzerartillerie (auch jener, die vorübergehend ausgebaut waren) ist nach den Schußlistendes Werkes vom 24. Mai 1915 bis 20. Mai 1916  

Beschuß-

Feindkaliber

Summe der

Eigener Munitionsverbrauch

A n m e r k u n g

monat

30,5 cm

28 cm

21 cm

14,9 cm*

schweren

Schüsse

Werks-

treffer

10 cm

8 cm

6 cm

1 7.130 Granatschrapnells

   4.178 Sprenggranaten

Mai 1915

-

1020

ca. 60

800

1.020

751

1.420

1.212

28

2 3.731 Granatschrapnells

Juni

-

1.090

-

1.160

1.090

750

682

405

-

   1.429 Granaten mit Doppelzünder

J uli

-

100

-

450

100

74

408

203

30

3 nur Schrapnells

August

610

1.690

-

1.660

2.300

1.651

2.202

1.404

16

 

September

-

235

-

730

235

144

732

118

8

 

Oktober

115

365

 

1.290

480

244

2.415

1.277

84

Am 20. Mai 1916 waren feuerbereit:

November

-

-

-

200

-

-

104

10

-

drei 10 cm T.H. M. 09 (2 ausgebaut)

Dezember

-

-

-

200

-

-

32

4

-

zwei 8 cm M.S.K. M. 05

Jänner 1916

-

-

-

50

-

-

-

16

-

zwei 6 cm M.S.K. M. 09

Februar

-

-

-

50

-

-

12

-

-

 

März

-

-

-

150

-

-

89

22

16

* Die 14,9cm-Schüsse (wurden) nur

April

ca. 100

678

-

1.310

778

505

408

42

18

ungefähr ermittelt. Es kann ein Mehr

Mai 1916

-

185

-

430

185

75

2.804

448

148

oder Weniger von 5 % toleriert wer-

zusammen:

825

5.363

60

8.480

6.188

4.194

11.308 1

5.161 2

148 3

den

 Munitionsbewegung im Werk „Lusern“ 1915/1916

 

Nachweisung Gesamtverluste (eigenes Blatt)

 

Gruppenkommando Lavarone                                        Zur Vorlage an die Abteilung VIII des

Oberst Ellison                                                                                      Reichskriegsministerium

Artillerie-Gruppe                                                                                                         Reservat

                                                                                                   Ausgefertigt am 22. Mai 1916

 

Zusammenstellung und Auswertung

der durch den Feindbeschuß mit Schwerstkalibern auf das Werk „Lusern“ erzielten Panzer-, Beton- und Werkstreffer in den drei Beschußperioden vom 24. Mai 1915 bis 20. Mai 1916 nebst Trefferprozenten1

Beschußperiode

und Zeit

Anzahl der Treffer auf die

vier 10 cm-Turmhaubitzen M 09

Anzahl der Treffer auf die zwei dreh-

baren BeobPanz für je ein MG M 12

 

Kuppel

Vorpanzer

zerstört oder

unbrauchbar

Kuppel

Vorpanzer

zerstört oder

unbrauchbar

I.

24.05.15 - 22.07.15

 

5

 

3

 

-

 

2

 

-

 

-

II.

15.08.15 - 30.10.15

 

3

 

5

 

1

 

2

 

-

 

1

III.

03.04.16 - 20.05.16

 

1

 

3

 

12

 

-

 

1

 

1

Zusammen

9

11

2

4

1

33

   

Beschußperiode

und Zeit

Anzahl der Treffer auf die zwei Panzerschilde für zwei 8 cm-M.S.K. M 09

Anzahl der Treffer auf die zwei Panzerschilder für zwei 6 cm-M.S.K. M 10

 

Panzerschild

zerstört oder unbrauchbar

Panzerschild

zerstört oder unbrauchbar

I.

24.05.15 - 22.07.15

 

-

 

-

 

-

 

-

II.

15.08.15 - 30.10.15

 

-

 

-

 

-

 

-

III.

03.04.16 - 20.05.16

 

1

 

-

 

1

 

-

Zusammen

1

-

1

-

   

Beschußperiode

und Zeit

Anzahl der Treffer auf die drei fixen MG-Panzer für je zwei MG M 124

Anzahl der Treffer auf die Panzerschilde

für Maschinengewehre und Scheinwerfer

 

Kuppel

Vorpanzer

zerstört oder

unbrauchbar

Panzerschild

zerstört oder unbrauchbar

I.

24.05.15 - 22.07.15

 

3

 

1

 

-

 

2

 

15

II.

15.08.15 - 30.10.15

 

4

 

1

 

-

 

4

 

16

III.

03.04.16 - 20.05.16

 

4

 

-

 

-

 

4

 

27

Zusammen

11

2

-

10

4

 

Beschuß-

periode

Summe der Feindtreffer auf

Deckendurch-schläge

erhaltene Feindschüsse

Trefferergebnis in Prozenten

 

Panzer

Werk

Beton

 

 

 

I.

16

1.575

839

4

2.210

68% Werkstreffer

II.

19

2.039

1.455

11

3.015

52% Betontreffer

III.

15

580

187

1

963

1,2% Panzertreffer

 

Summe

 

50

 

4.194

 

2.481

 

16

 

6.188

Feindschüsse vom Kaliber 30,5, 28 und 21 cm

 

Erläuterungen:  

1 Einschließlich „Viaz“ und „Oberwiesen.
2 Eine Panzerkuppel in den Werksgraben geworfen.
3 Beide Panzerkuppeln in den Werksgraben geworfen.
4 Davon je einer auf Stützpunkt „Viaz“ und „Oberwiesen“:
5 Ein Scheinwerferpanzer:
6 Kalottendurchschlag im Verdecksausgang:
7 Ein Kalottendurchschlag zum Beobachtungspanzer (drehbar).
   Ein Kalottendurchschlag Turmhaubitze.

 

Munitionsverbrauch  

Haubitzmunition  

Bestand am 20. Mai 1915                                                  6.130 Schuß
Zugeschoben bis Ende April 1916                                   5.250 Schuß
zusammen                                                                          11.380 Schuß
Restbestand am 20. Mai 1916                                                72 Schuß
Verbrauch (verschossen)                                                11.308 Schuß

 

 

8 cm-Kanonenmunition  

Bestand am 20. Mai 1915                                                  2.380 Schuß
Zugeschoben bis Ende April 1916                                  2.850 Schuß
zusammen                                                                            5.230 Schuß
Restbestand am 20. Mai 1916                                                69 Schuß
Verbrauch (verschossen)                                                  5.161 Schuß

 

6 cm-Kanonenmunition  

Bestand am 20. Mai 1915                                                  500 Schuß
Restbestand am 20. Mai 1916                                           252 Schuß
Verbrauch (verschossen)                                                   248 Schuß
Gesamtverbrauch                                                           16.717 Schuß

Nach Fertigstellung des II. Bandes im Jahre 1920, in welchem Karl Lipscher die Kriegsereignisse im Werk „Lusern“ anhand des Werkstagebuches behandelt hatte, schickte er diesen Band zur Durchsicht und Begutachtung an den seinerzeitigen Planer und Erbauer des Werks „Lusern“, den damaligen Hauptmann und späteren Oberstleutnant Ing. Eduard Lakom. Der schrieb ihm am 25. Januar 1926 folgenden, vorstehend im Original wiedergegebenen Brief:

 

Lieber, verehrter Kriegskamerad!  

Hab herzlichen Dank für die Überlassung Deiner einmaligen Arbeit, betitelt „Tagebuchaufzeichnungen des Werkes ‘Lusern’ der Sperre Lavarone/Südtirol vom 24. Mai 1915 bis 22. Mai 1916“, und kann Dich zu der geleisteten Arbeit nur beglückwünschen und grat uli eren. Das Manuskript ist einmalig in seiner Art, und kann mich als alter Fachmann nicht entsinnen, jemals ähnliches gelesen zu haben. Im hiesigen Kriegsarchiv Wien, in welchem ich seit 1919 als Archivar arbeite und dieses auch innen und außen kenne, liegt dergleichen überhaupt nicht vor. Ich glaube Dir gerne, daß eine zwei Jahre lange Arbeit für die Bearbeitung notwendig war, um diese einmalige Dokumentensammlung zu schaffen. Wir wußten im Kriegsarchiv gar nicht, daß Ellison und Lempruch heute die Besitzer dieser Original-Werkstagebücher der Lavarone-Folgariawerke sind Hoffentlich wird das Kriegsarchiv einstens der Erbe sein?  

Jedenfalls hast Du ein Werk geschaffen, das in der neuzeitigen Kriegsgeschichte nichts Ähnliches oder Gleichwertiges aufweist. Wie treffend es Du in den zeitweisen schwersten Stunden des Werkes „Lusern“ verstanden hast, den Techniker als gleichwertigen Partner zu dem Kämpfer und Verteidiger zu stellen. Oberst Ellison durch seine einmalige, überragende Persönlichkeit, und Schneider 1 durch sein einmaliges technisches Können haben sich um die Erhaltung des Werkes „Lusern“ und seines Nachbars „Verle“ einmalige Verdienste in der Kriegsgeschichte geschaffen - wogegen alle unsere Weltkriegsgegner, die mit der permanenten Fortifikation zu tun hatten, sich überhaupt nicht vergleichen können.  

Die beiden Werksbeschießungen von „Lusern“ und „Verle“ haben aber den Beweis erbracht, daß mit Mut und Selbstvertrauen es möglich war, Unglaubliches zu ertragen und Unvorstellbares zu leisten, denn Nickelstahl und Beton waren nur tote Materie.  

Dem Werk „Lusern“ verdanke ich als dessen einstiger Planer und Erbauer wohl persönlich meine fachliche Ehrenrettung; denn kein Fachmann hätte für möglich gehalten, daß ein Werk so viel an Treffern auszuhalten imstande war als „Lusern“ und trotzdem, soweit es die Umstände erlaubten, kampffähig erhalten werden konnte.  

Ich muß sagen, in großartiger Weise und einmaliger Form ist es Dir gelungen, für jedermann verständlich jene Tagen und Stunden, wo es um „Sein oder Nichtsein“ ging, zu schildern. Über all’ die geschilderten Ereignisse weiß heute, außer den einst Beteiligten, niemand mehr etwas, und ist in Vergessenheit geraten, wie es wirklich war. Auch Deine angefertigten Skizzen sind hervorragend. Ich kann nur nochmals betonen - wir haben im Kriegsarchiv „nichts“ über Festungskämpfe des letzten Weltkriegs, das einen Vergleich mit Deiner geleisteten Arbeit als gleichwertig zu bezeichnen wäre.  

Hoen 2 hat es sogar in 3 Tagen gelesen und war, so wie ich, begeistert über den Inhalt. Wenn der V. Band fertig ist, bitte ich Dich heute schon, mir diesen für einige Zeit überlassen zu wollen. Gerne übersende ich das gewünschte Lichtbild, um an der Seite von Schneider im II. Band einen Ehrenplatz zu finden.  

Ja, wenn wir Genisten das Geld gehabt hätten -wie ganz anders wäre „Lusern“ gebaut worden; aber die ewigen Besserwisser in der VIII. Abteilung 3, Schießer 4 und Konsorten, klebten damals an den alten, unmodernen und überhöhten Formen einer Ära Vogl.5 Ellison kann ein Lied davon singen! Laß Dir einmal von ihm erzählen, was er für Widerstände zu brechen hatte, bis seine neuen,  der  gesteigerten  Waffenwirkung  entsprechend in der Form der beiden Werke „Sommo“ und „Serrada“ erstanden und so Wirklichkeit wurden. Hoen sagte mir gestern, er bedaure es sehr, daß wir im Kriegsarchiv nicht über die Mittel verfügen, um die drei im Werden begriffenen Bände anzukaufen.  

Lieber Kriegskamerad, nochmals Dank für Deine Überlassung der zwei Bände und nochmals meinen Glückwunsch für die geleistete Arbeit. Wenn Du einmal Zeit hast, komm doch einmal bei mir vorbei!  

Mit kameradschaftlichen Grüßen stets Dein alter  

L a c o m
     Obstlt. i. R.
 

Wien, am 25. Jänner 1926


1 Hauptmann im Geniestab Rudolf Schneider, Geniereferent des Gruppenkommandos Lavarone-Folgaria im Stabe Oberst Ellisons, Leiter der technischen Abwehr.

2 Seinerzeitiger Direktor des Kriegsarchivs in Wien

3 Die VIII. Abteilung des Kriegsministeriums in Wien war für die permanenten Fortifikationen zuständig.

4 Damals Oberst und Geniedirektor in Trient; er hatte wesentlichen Einfluß auf die Planung der Lavaronewerke

5 Feldmarschall-Leutnant Vogl war Befestigungsbaudirektor von Tirol und ein Anhänger von kasemattierten Panzerwerken in zusammengedrängter Bauweise.

 

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