" Werk Lusern " Kriegstagebuch des Werkskommandanten Entnommen aus dem Roman Die Uhrheberrechte bei den Seiten liegen bei Albin Kühnel und sind auszugsweise auch in abgeänderter Form, auf Papier oder Datenträgen verboten.
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Die dritte Beschussperiode April 1916 Verschiedene
Arbeiten der Werksbesatzung. Regen Patrouillentätigkeit und Stoßtruppunternehmungen
des Italieners gegen Werk „Lusern“. Beginn
der III. Beschußperiode. Vergeblicher Versuch des Gegners, die
Seilbahnstation auf Monte Rover durch 28 cm- und 14,9 cm-Beschuß zu
zerstören. Am 9. April wiedereinsetzender 28 cm Beschuß. Am 10. April
neuerlicher Beschuß mit 30,5 cm-Kalibern und schweren Schäden an den
reparierten Drehpanzern und Betonbauten. (Artur Reutter Edler von Vallone: „Barbara und Gudrun“, Wien-Leipzig-Olten 1937, S. 23) Zeitweiliger Beschuß auch der beiden Nahkampfwerke „Viaz“ und „Oberwiesen“ „Auch auf den Beobachtungsstand der Barbara bei Viaz wurden am 16. April 74 Schüsse abgegeben, die keinen wesentlichen Schaden verursachten. Am 17. gab der Feind auf dieses Ziel 96 Schuss aus verschiedenen Kalibern ab; desgleichen wurde Viaz am 18. beschossen, ohne dass indes die Panzerkuppel getroffen worden wäre. Neue Orde de Bataille und Neuverteilung des Frontabschnittes Lavarone im Zuge der Offensivvorbereitungen für den Frontdurchbruch. Weitere
schwere Schäden durch den 30,5 cm- und 28 cm-Beschuß bis zum
Monatsende. Sehr gute Bewährung der eingebauten Trägerroste auf der
Betondecke oberhalb der Traditorenbatterie und um den Vorpanzer der
Turmhaubitze Nr. IV. Mai
1916 Regste
feindliche Stoßtruppunternehmungen gegen Werk „Lusern“. Schwierige
Unterbringung der über 100 Mann starken eigenen Artilleriebeobachter
und des dazugehörigen Personals. Geänderte und neue Ordre de Bataille
für den Offensivbeginn im Abschnitt Lavarone. Munitionsabgabe
des Werks „Lusern“ an 8 cm-Kanonenmunition auf Befehl des neuen
Brigadekommandos an das Feldkanonenregiment Nr. 28. Laufende Werksbesichtigungen hoher und höchster Stäbe im Werksabschnitt. Am
12. Mai werden durch einen Rohrkrepierer in der Granatwerferbatterie des
Werkes zwei Granatwerfer demoliert. Ein Munitionsbrand vernichtet den
halben Munitionsbestand. Tote und Verwundete in der
Granatwerferbatterie. Laufender
28 cm-Beschuß. Am 15. Mai Beginn der Offensive im Abschnitt Folgaria mit großen Angriffserfolgen. Feuereröffnung der 38 cm-Haubitze „Barbara“ gegen die italienischen Panzerwerke „Punta Corbin“ und „Casa Ratti“ mit Schußbeobachtung von der Nahkampfanlage „Viaz“ aus. Unerträgliches Warten der Werksbesatzung auf den Offensivbeginn im Abschnitt Lavarone. Laufender
28 cm-Beschuß des Werkes „Lusern“. Am
18. Mai 1916 ist die
italienische Front im Abschnitt Folgaria restlos durchbrochen, der Feind
auf der Flucht. Am 19. Mai sehr starker 28 cm-Beschuß mit einem Panzertreffer in der Ringfuge der Turmhaubitze Nr. IV. Tag- und Nachtreparatur durch den Skodamonteur, um den Schaden vor dem Offensivbeginn auf Lavarone zu beheben. 20.
Mai 1916 Die
10 cm-Turmhaubitze Nr. IV (ist)
wieder voll einsatzfähig. Offensivbeginn auf Lavarone mit schönen
Anfangserfolgen. Rückschlag am Costesin. Räumung der dortselbst
bereits eroberten Stellungen infolge stärkster Gegenangriffe des
Feindes. 21.
Mai 1916 Weitere
Erfolge des Frontdurchbruchs. Vernichtungsfeuer aller auf Lavarone in
Stellung befindlichen Batterien auf den Costesin und nachfolgende
Eroberung desselben. Die Italiener in regelloser Flucht. 22.
Mai 1916 Für
Werk „Lusern“ ist der Krieg zu Ende. Aufbrauch der gesamten
Munitionsbestände. Besuch der Werksoffiziere auf Marcai und dem zerstörten
Panzerwerk „Campolongo“. Laut
Anweisung der Geniedirekt ion Trient wird Werk
„Lusern“ voll erneuert und repariert. Für die Werksoffiziere und (die)
Besatzung (ist) bereits (die) neue Verwendung
im Rahmen der Division eingelangt. Abschied von den gefallenen Kameraden
am Heldenfriedhof auf der Cost’alta. Auszug der Lusernbesatzung für
neue Aufgaben.
Mit
dem Abzug der Besatzung des Werks „Lusern“ nach dem erfolgreichen
Durchbruch der italienischen Stellungen auf der Hochebene von Lavarone
durch die k.u.k. Truppen endeten die Eintragungen des Werkskommandanten
im Werkstagebuch und damit auch die summarische Zusammenfassung dieser
Eintragungen durch Karl Lipscher. Nach
der Einstellung der österreichisch-ungarischen Frühjahrsoffensive Ende
Juni 1916 verlief die neue Frontlinie bis zum Kriegsende im November
1918 über die Hochfläche der Sieben Gemeinden. Das Werk „Lusern“
lag seither so weit hinter der Front, dass es aktiv in die Kämpfe nicht
mehr eingreifen konnte. Ende Mai 1916 unterzogen Organe des k.u.k.
Generalgenieinspektors das Werk „Lusern“ einer genauen Überprüfung
seiner passiven und aktiven Abwehrkraft und kamen dabei zu folgendem
Ergebnis: „Als
Bauwerk ist Lusern noch mehr hergenommen als Verle und sind die mindere
Qualität des Betons und die sehr brüchige Felsvorlage der Gräben an
den teilweise schweren Betonschäden schuld. Die Erhaltung des Werks bis
zur Offensive 1916 ist nur dem Werkskommandanten zu verdanken.“ Wesentlich
informativer ist das Urteil Oberst Ellisons, der bereits am 22. Mai 1916
in seiner „Zusammenstellung und Auswertung der durch den Feindbeschuss
mit Schwerstkalibern auf das Werk Lusern erzielten Panzer-, Beton- und
Werkstreffer in den drei Beschussperioden vom 24. Mai 1915 bis 20. Mai
1916 nebst Trefferprozenten“ folgendes ausgeführt hat: „Das
Werk Lusern hatte durch die letzte Beschießung speziell an
Panzerobjekten schwere Schäden erlitten und ist in seinem derzeitigen
Zustand nur als Nahkampfstützpunkt bedingt zu werten. Der Frontgraben
ist nahezu verschüttet und die Hindernisse schwerst in Mitleidenschaft
gezogen. Mit den derzeitigen Hilfsmitteln des Werkes können nur die
Hindernisse ausgebessert werden. Die Behebung aller sonstigen Betonschäden
und (die) Panzerreparaturen
erfordern viel Zeit; ein Abschluß dieser Arbeiten ist ganz
unbestimmt.“ Ungeachtet
dessen begann man bereits Ende Mai mit den Wiederherstellungsarbeiten.
Nach Abschluss derselben wurde Werk „Lusern“ zusammen mit den
anderen Werken der Lavaronegruppe als Infanteriestützpunkt in die
zweite Widerstandslinie integriert, aber weitgehend desarmiert. Zurück
blieben nur die beiden 8 cm-Minimalschartenkanonen M 09 in der
Traditorenbatterie, ein 6 cm-Kasemattgeschütz M 10 in der
Grabenstreiche und zwei Maschinengewehre. Die drei noch intakten
Turmhaubitzen M 09, eine Kasemattgeschütz und die restlichen
Maschinengewehre hingegen wurden in der nunmehrigen vordersten
Widerstandslinie eingebaut. Die folgenden Kriegsereignisse machten einen
Kampfeinsatz des Werks „Lusern“ jedoch nicht mehr erforderlich. Als der Krieg vorüber war, ging das Werk „Lusern“ in das Eigentum des italienischen Staates über. Mit Dekret vom 12. August 1927 wurde es aus dem Staatsbesitz ausgesondert und am 01. Juni 1930 der Gemeinde Lusern gegen eine jährliche Anerkennungsgebühr von 100 Lire überlassen. Drei Jahre später, nämlich am 03. Juni 1936, kaufte es die Gemeinde Lusern für 31.000 Lire an und erteilte bereits am 16. des gleichen Monats dem Tridentiner Unternehmen Mondini die Genehmigung, das Werk auszuschlachten. Alles, was die Altmaterialsammler nach Kriegsende nicht schon nach Kriegsende abmontiert hatten, nämlich die Panzerungen und die Stahlarmierung, wurde durch Sprengungen freigelegt und abtransportiert. Das Werk „Lusern“ aber wurde darüber zu einer Ruine, als die es sich auch heute noch dem Besucher darbietet. Vor wenigen Jahren ergriff die Gemeinde Lusern, der die Werksruine auch heute noch gehört, unterstützt von der Autonomen Provinz Trient, Maßnahmen zur Sicherung und Erhaltung der Werksruine. Sie begann 1990 damit, die von der Demolierung in den Dreißigerjahren herrührenden Schuttberge beim Hauptwerk und bei den beiden Nahkampfanlagen „Viaz“ und „Oberwiesen“ zu beseitigen. Die Reste der tragenden Strukturen wurden gesichert und Zwischenböden eingezogen. Auch die 210 m lange Poterne zwischen den beiden Stützpunkten ist wieder begehbar. Zur Zeit (2003) laufen Restaurationsversuche am Batterieblock.
Die
weiße Fahne von Lusern Wegen
der versuchten Übergabe des Sperrforts Lusern an den Feind wurde ein Prozess
vor dem Militärgericht geführt. A. Tomasini, der an der Verhandlung
vor dem Kriegsgericht in Trient teilgenommen hat, berichtet darüber
folgendes: Dem
ersten Prozeß, der nach der Kriegserklärung stattfand und dessen Führung
einem neuen Untersuchungsrichter übertragen worden war, kam große
Bedeutung zu, bis heute ist in
der Öffentlichkeit wenig darüber bekanntgeworden. Ende
Mai rief der Artillerieoberst Terboglav, nachdem er wenige Minuten zuvor
mit dem obersten Untersuchungsrichter gesprochen hatte, beim
Sperrkommando an und teilte mit, daß bald ein Automobil des Gerichtes
eintreffen würde. Zusammen mit Dr. Eder und mir nahm er darin Platz.
Gleich ging die Fahrt los; wir passierten die Festungsmauern von
Matarello und Calliano, durchquerten Folgaria, Carbonare, Lavarone und
Monte Rover und machten bei einem von dichtem Wald geschützten
Barackenlager auf Cost’alta halt. Man konnte feststellen, daß wir
erwartet wurden, denn alle Offiziere und Soldaten des Abschnitts
blickten uns mit einer Mischung aus Neugier und Furcht entgegen. Der
Untersuchungsrichter betrat eine Baracke, die halb unter der Erde lag.
Er blieb ein paar Minuten in einem nur wenige Quadratmeter großen Raum,
der gleichzeitig als Telefonzentrale, Schlafraum für Offiziere,
Lebensmitteldepot, Kanzlei und medizinisches Ambulatorium diente und
unterhielt sich mit Offizieren der Kampftruppen. Ich hörte zu,
neugierig, den Grund für die hastige Einberufung eines Kriegsgerichts
so nahe an der vordersten Front zu erfahren. In der Nähe schlugen ein
paar Granaten ein und ich folgte dem Beispiel der anderen und suchte, so
gut es ging, Schutz. Da ich mit dem Beginn meiner Arbeit noch warten mußte,
spazierte ich im Wald herum und beobachtete das Leben und Treiben an der
Front, die ich zum ersten Mal erlebte. Überraschend
für mich traf ich Dr. Gasperi, einen mir bekannten Arzt, der - als
Stabsarzt gekleidet - allein umherschweifte. Er erzählte mir, daß ein
Offizier des Sperrfort Lusern unter Arrest gestellt worden sei, weil er
kapit Als
es zu dunkeln begann, traten die Offiziere wieder ein; eine Lampe wurde
angezündet, die Fenster zur italienischen Front hin wurden hermetisch
abgeschlossen und die aus Säcken und Decken bestehenden Vorhänge
zugezogen. Die
Arbeit fing an. Der Richter begann mit der Voruntersuchung über die
versuchte Übergabe des Sperrforts an den Gegner. Ich fing mit den Verhören
an: Sieben, acht Offiziere und hundertfünfzig Soldaten! Ich schrieb
nach Diktat, stundenlang, die ganze Nacht hindurch und den nächsten
Tag. Nachstehend folgt eine kurze Beschreibung des Werkes und der
Ereignisse. Das
Sperrfort Lusern einschließlich seiner Stützpunkte Viaz und Oberwiesen
wurde vom Artillerieoffizier Nebesar, einem Tschechen, kommandiert. Im
Werk selbst waren drei weitere Offiziere, der Arzt Dr. Gasperi sowie 150
Artilleristen. Bei der Kriegserklärung Italiens wurde die
Widerstandslinie zwischen allen Werken auf der Hochebene von Folgaria,
Lavarone und Vezzena von Standschützen, Männern zwischen 16 und 18
bzw. zwischen 50 und 65 Jahren, sowie von Gendarmen und
Finanzwachbeamten besetzt. Reguläre Truppen waren überhaupt keine
vorhanden, wenn man von den wenigen Artilleristen in den Werken einmal
absieht. Am
25. Mai wurde das Sperrfort Lusern von der italienischen Artillerie aufs
Korn genommen; das Feuer dauerte ohne Unterbrechung bis zum 28. Mai.
Dabei wurde das Werk von nicht weniger als 5.000 Granaten aller Kaliber
getroffen, vor allem aus 280 mm-Geschützen. Die St Die
eingeschlossenen Soldaten, denen der Ausweg versperrt war, waren
machtlos, die Offiziere wie gelähmt. Die pausenlosen Einschläge
verursachten immer mehr Sprünge bei den Innenmauern. Alle Räume im
Werk, die Gänge, die Depots waren voller Gas. Es blieb nichts anders übrig,
als das Feuer auszumachen. Die armen Männer, lebendig begraben und
einem Hagelsturm schwerster Granaten ausgesetzt, hatten keine Möglichkeit
mehr, Hilfe herbeizuholen. Übrigens wäre es auch unmöglich gewesen,
Hilfe zu bringen. Man befürchtete jeden Augenblick, daß das
Munitionsdepot oder der Benzintank in die Luft fliegen würden. Die
Beleuchtung war nur noch schwach, die Luft trüb und gasgeschwängert.
Nebesar versammelte die wenigen Offiziere um sich und hielt Kriegsrat.
Man entschloß sich zu kapit Plötzlich
setzte starkes Trommelfeuer ein. Es waren die benachbarten österreichischen
Werke, die Lusern unter Feuer nahmen. Die Parlamentäre zogen sich
wieder zurück, und nach wenigen Minuten traf eine deutsche Patrouille
ein, die auf das Werksverdeck kletterte und die weiße Fahne herunterriß.
Kurz darauf verließ Nebesar das Sperrfort; er war mehr tot als lebendig
und begab sich zu dem etwa 20 Minuten entfernten Cost’alta. Dort wurde
er gefesselt und zum Festungskommandeur nach Trient gebracht. Von diesem
verlangte er Waffe und bat um Erlaubnis, Selbstmord begehen zu dürfen.
Der Ärmste, der so schmutzig und schwarz wie ein Kohlenbrenner war,
zeigte Anzeichen von Unzurechnungsfähigkeit und wurde daher in ein
Spital gebracht. Er wurde eingesperrt und man beschloß, ihm und seinen
Offizieren wegen Feigheit vor dem Feind und Übergabe eines festen
Platzes ohne entsprechende Notwendigkeit den Prozeß zu machen. Die
rund 150 Soldaten des Werkes, die alles miterlebt hatten, beschrieben -
als Zeugen der Kapitulation verhört - den Ablauf des Geschehens so, wie
er oben geschildert ist. Nachdem die Ermittlungen abgeschlossen waren,
begaben wir - der Richter und ich - uns nach Trient, um Nebesar, der
immer noch darum bettelte, sich erschießen zu dürfen, einem ersten
Verhör zu unterziehen. Er schilderte die Übergabe des Werkes genauso,
wie es seine Untergebenen getan hatten und behauptete, das Werk sei von
italienischen Truppen vollkommen eingeschlossen gewesen, und daß nicht
nur jeder Widerstand sinnlos gewesen sei, sondern eine Meuterei seiner
Soldaten befürchtet wurde, die - lebendig begraben - ihm den Gehorsam
verweigert hatten und nicht mehr zu beruhigen waren. Im
Untersuchungsverfahren, das sehr lange dauerte, wurde durch ein
medizinisches Gutachten (Dr. Dejaco) bestätigt, daß Nebeser zu der
Zeit, als er das Fort im Stich gelassen hatte, voll zurechnungsfähig
gewesen sei. Viele
Monate später fand die Gerichtsverhandlung statt, bei der Nebesar und
sein Offiziere freigesprochen wurden; sie seien zu erschöpft und erregt
gewesen. Nach dreitägigem Kampf auf Leben und Tod sei er auch mit
seinen Kräften, Widerstand bis zum Äußersten zu leisten, am Ende
gewesen. Der Freispruch wurde nicht bestätigt, es kam zu einem zweiten
Prozeß, der wie der erste ausging. Daraufhin wurde ein drittes Mal
verhandelt, wieder mit dem gleichen Ergebnis. Schließlich
wurde auf Befehl des Erzherzogs Eugen die ganze Voruntersuchung im Jahre
1918 noch einmal neu begonnen, denn man wollte unbedingt, daß Nebesar
(ein Tscheche) bestraft wird. Ein sonderbarer Zufall - denn ich war 1918 nicht mehr in Trient - wollte es, daß der neue Prozeß vor dem Militärgericht in Innsbruck stattfinden sollte, wo ich mich aufhielt, und ich zum Schriftführer bestellt wurde. Der seinerzeit dafür zuständige Richter, Kauer, eröffnete ihn und wir begaben uns von Innsbruck nach Lusern, wo wir zusammen mit Technikern des Militärgeniestabes einen Ortstermin veranstalteten. Die alten Zeugen aus dem ersten Prozeß waren mittlerweile über die ganze Monarchie verteilt: In Rußland, in Serbien, in Rumänien und in der Türkei. Der Richter mußte sie finden und verhören. Nebesar befand sich auf freiem Fuß. Lang und interessant wäre eine Schilderung der letzten Phase dieses Prozesses, aber mir ist es nicht erlaubt, die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen wiederzugeben, von denen einen Bestrafung Nebesars hätte abhängen können. Das Kriegsministerium und der Appellationsgerichtshof drängten darauf, General Können-Horack zur Frage der Kapitulation zu hören. Dieser war 1915 Kommandeur der Festung Trient. Jetzt befand er sich in Vezzano, wohin ich mich mit dem Richter begab, um seine Aussage einzuholen. Der
General befahl mir, an
seinem Tisch Platz zu nehmen. Die beiden Offiziere blieben stehen und
nach Erledigung der üblichen Formalitäten sagte der Richter:
„Excellenz, ich muß zwei Fragen an Sie richten, nämlich: 1. Ist das
Werk Lusern zu Angriffs- oder zu Verteidigungszwecken erbaut worden? 2.
Hätte eine Kapitulation des Werks Lusern Folgen gehabt und wie hätte
sich das auf unsere Maßnahmen und Befehle ausgewirkt?“ Die
Anwort auf diese beiden Fragen dauerte zwei Stunden; während dieser
Zeit diktierte mir der General. Mit der ersten Frage wollte die Justiz
ergründen, ob das Werk so stabil gebaut war, daß eine Zerstörung unmöglich
war, und ob das gewaltige Bauwerk im Falle seiner Zerstörung noch
nahkampffähig gewesen wäre. Durch die zweite Frage wollte die Justiz
geklärt wissen, ob die Übergabe des Werkes von solcher Tragweite
gewesen wäre, daß beträchtliche Nachteile entstanden wären. Um es
kurz zu machen: Der General beschränkte sich in seinem zweistündigen
Diktat auf zwei Antworten,
denen er folgende Feststellung vorausschickte: „Das Kommando der Südwestfront
hat mich darüber unterrichtet, daß ich dem Militärgericht alle Fragen
über die Kämpfe von Lusern, die an mich gestellt werden, beantworten
muß, und daß ich dem Gerichtshof gegenüber von jeglicher
Geheimhaltung befreit bin.“ Erste
Antwort: „ Das Werk Lusern wurde als Anwort auf die von Italien
an dieser Grenze errichteten Festungen gebaut, und zwar zu
Offensivzwecken.“ Zweite
Antwort: „Im Falle einer Übergabe und Besetzung des Werks
Lusern wäre ich als General gezwungen gewesen, die Front auf folgende
Widerstandslinie zurückzunehmen:
Mattarello-Valsorda-Caldonazzo-Laghi-Col delle Bene-Panarotta und im
Falle eines schnellen italienischen Vorstoßes sogar auf die Linie Monte
Gazza-Gardolo-Calisio; die Festung Trient hätte aufgegeben werden müssen.
Ein Rückzug wäre unvermeidlich gewesen, weil die Widerstandslinie
zwischen den Werken nur von wenigen Tausend Männern gehalten wurde, die
im Umgang mit Waffen nicht geübt waren und weil Reserven gänzlich
fehlten.“ Der General sagte noch mehr, daß man nämlich in jenen
Tagen damit rechnete, das ganze Trentino räumen zu müssen und daß die
Abwehrkräfte zwar ausgereicht hätten, vorstoßende italienische
Truppen zu behindern und ihren Vormarsch zu verlangsamen, aber niemals,
um ihnen zu widerstehen. Der Fall Luserns wäre das erste geöffnete Tor
in das Trentino gewesen. Die Tatsache, daß das aufgegebene Werk von den
Italienern nicht besetzt worden sei, war für den General ein Zeichen
dafür, daß sie gar nicht die Absicht gehabt hätten, das Trentino zu
okkupieren; daher habe er sofort verfügt, daß die Abwehr verstärkt
und Reserven herbeigeführt wurden. Der
Prozeß wurde nicht mehr zum Ende geführt; der Waffenstillstand im
Herbst 1918 kam dazwischen. Eduard
Lakom, „Niemand, der nicht selbst eine schwere Beschießung in einem Panzerwerk mitgemacht hat, hat das Recht, auf die beiden ursprünglichen Werkskommandanten in Lusern und Verle (die versagt haben) einen Stein zu werfen. Das Verschulden trifft allein jene, die nicht wußten, daß, so wie auf hoher See im Sturm der Kapitän eines Schiffes ein ganzer Mann mit Nerven aus Stahl, dies auch ein Werkskommandant, und vielleicht in noch höherem Maße, sein muß.“ Werk „Lusern“ Gruppenkommando Lavarone Beschußzeit: Mai 1915 Oberst Ellison Resümee über
den täglichen Feindbeschuß u. erhaltene eigene artilleristische
Kampfkraft
** Auf Befehl des Werkskommandanten vor der vorübergehenden Räumung des Werkes durch Entfernen der Rohrverschlüsse und sonstiger Geschütz- und Lafettenteile unbrauchbar gemacht. Ausfertigung: 22. Mai 1916 Gruppenkommando Lavarone Ellison, Oberst im Geniestab N a c h w e i s
u n g über die auf das Werk „Lusern“ abgegebenen Feindschüsse und
erzielten Treffer. Nur die Kaliber 30,5 cm, 28 cm und 21 cm sind in der
Nachweisung berücksichtigt. Der eigene Munitionsverbrauch der
Panzerartillerie (auch jener, die vorübergehend ausgebaut waren) ist
nach den Schußlistendes Werkes vom 24. Mai 1915 bis 20. Mai 1916
Nachweisung Gesamtverluste (eigenes Blatt)
Gruppenkommando Lavarone Zur Vorlage an die Abteilung VIII des Oberst Ellison Reichskriegsministerium Artillerie-Gruppe Reservat Ausgefertigt am 22. Mai 1916 Zusammenstellung und Auswertung der durch den Feindbeschuß mit Schwerstkalibern auf das Werk „Lusern“ erzielten Panzer-, Beton- und Werkstreffer in den drei Beschußperioden vom 24. Mai 1915 bis 20. Mai 1916 nebst Trefferprozenten1
Erläuterungen: 1
Einschließlich „Viaz“ und „Oberwiesen. Munitionsverbrauch Haubitzmunition Bestand
am 20. Mai 1915
6.130 Schuß 8
cm-Kanonenmunition Bestand
am 20. Mai 1915
2.380 Schuß 6 cm-Kanonenmunition Bestand
am 20. Mai 1915
500 Schuß Nach Fertigstellung des II. Bandes im Jahre 1920, in welchem Karl Lipscher die Kriegsereignisse im Werk „Lusern“ anhand des Werkstagebuches behandelt hatte, schickte er diesen Band zur Durchsicht und Begutachtung an den seinerzeitigen Planer und Erbauer des Werks „Lusern“, den damaligen Hauptmann und späteren Oberstleutnant Ing. Eduard Lakom. Der schrieb ihm am 25. Januar 1926 folgenden, vorstehend im Original wiedergegebenen Brief: Lieber, verehrter Kriegskamerad! Hab
herzlichen Dank für die Überlassung Deiner einmaligen Arbeit, betitelt
„Tagebuchaufzeichnungen des Werkes ‘Lusern’ der Sperre Lavarone/Südtirol
vom 24. Mai 1915 bis 22. Mai 1916“, und kann Dich zu der geleisteten
Arbeit nur beglückwünschen und grat Jedenfalls
hast Du ein Werk geschaffen, das in der neuzeitigen Kriegsgeschichte
nichts Ähnliches oder Gleichwertiges aufweist. Wie treffend es Du in den
zeitweisen schwersten Stunden des Werkes „Lusern“ verstanden hast, den
Techniker als gleichwertigen Partner zu dem Kämpfer und Verteidiger zu
stellen. Oberst Ellison durch seine einmalige, überragende Persönlichkeit,
und Schneider 1
durch sein einmaliges technisches Können haben sich um die Erhaltung des
Werkes „Lusern“ und seines Nachbars „Verle“ einmalige Verdienste
in der Kriegsgeschichte geschaffen - wogegen alle unsere Weltkriegsgegner,
die mit der permanenten Fortifikation zu tun hatten, sich überhaupt nicht
vergleichen können. Die
beiden Werksbeschießungen von „Lusern“ und „Verle“ haben aber den
Beweis erbracht, daß mit Mut und Selbstvertrauen es möglich war,
Unglaubliches zu ertragen und Unvorstellbares zu leisten, denn Nickelstahl
und Beton waren nur tote Materie. Dem
Werk „Lusern“ verdanke ich als dessen einstiger Planer und Erbauer
wohl persönlich meine fachliche Ehrenrettung; denn kein Fachmann hätte für
möglich gehalten, daß ein Werk so viel an Treffern auszuhalten imstande
war als „Lusern“ und trotzdem, soweit es die Umstände erlaubten,
kampffähig erhalten werden konnte. Ich
muß sagen, in großartiger Weise und einmaliger Form ist es Dir gelungen,
für jedermann verständlich jene Tagen und Stunden, wo es um „Sein oder
Nichtsein“ ging, zu schildern. Über all’ die geschilderten Ereignisse
weiß heute, außer den einst Beteiligten, niemand mehr etwas, und ist in
Vergessenheit geraten, wie es wirklich war. Auch Deine angefertigten
Skizzen sind hervorragend. Ich kann nur nochmals betonen - wir haben im
Kriegsarchiv „nichts“ über Festungskämpfe des letzten Weltkriegs,
das einen Vergleich mit Deiner geleisteten Arbeit als gleichwertig zu
bezeichnen wäre. Hoen
2
hat es sogar in 3 Tagen gelesen und war, so wie ich, begeistert über den
Inhalt. Wenn der V. Band fertig ist, bitte ich Dich heute schon, mir
diesen für einige Zeit überlassen zu wollen. Gerne übersende ich das
gewünschte Lichtbild, um an der Seite von Schneider im II. Band einen
Ehrenplatz zu finden. Ja,
wenn wir Genisten das Geld gehabt hätten -wie ganz anders wäre
„Lusern“ gebaut worden; aber die ewigen Besserwisser in der VIII.
Abteilung 3,
Schießer 4
und Konsorten, klebten damals an den alten, unmodernen und überhöhten
Formen einer Ära Vogl.5
Ellison kann ein Lied davon singen! Laß Dir einmal von ihm erzählen, was
er für Widerstände zu brechen hatte, bis seine neuen,
der gesteigerten
Waffenwirkung entsprechend in der Form der beiden Werke „Sommo“
und „Serrada“ erstanden und so Wirklichkeit wurden. Hoen sagte mir
gestern, er bedaure es sehr, daß wir im Kriegsarchiv nicht über die
Mittel verfügen, um die drei im Werden begriffenen Bände anzukaufen. Lieber
Kriegskamerad, nochmals Dank für Deine Überlassung der zwei Bände und
nochmals meinen Glückwunsch für die geleistete Arbeit. Wenn Du einmal
Zeit hast, komm doch einmal bei mir vorbei! Mit
kameradschaftlichen Grüßen stets Dein alter
L
a c o m Wien, am 25. Jänner 1926 1 Hauptmann im Geniestab Rudolf Schneider, Geniereferent des Gruppenkommandos Lavarone-Folgaria im Stabe Oberst Ellisons, Leiter der technischen Abwehr. 2 Seinerzeitiger Direktor des Kriegsarchivs in Wien 3 Die VIII. Abteilung des Kriegsministeriums in Wien war für die permanenten Fortifikationen zuständig. 4 Damals Oberst und Geniedirektor in Trient; er hatte wesentlichen Einfluß auf die Planung der Lavaronewerke 5 Feldmarschall-Leutnant Vogl war Befestigungsbaudirektor von Tirol und ein Anhänger von kasemattierten Panzerwerken in zusammengedrängter Bauweise.
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