Die Lachsartigen,

etwas über die Seeforelle in Oberbayern

oder, wie Fischer und Taucher sehr gut zusammenarbeiten können.

Ulrich Mößlang der Tauchbrillenspezialist + zertifizierter Sport-Optiker

 

Eigentlich wollten wir ja nur noch ein letztes Mal mit den Motorrädern über die Pässe donnern, bevor der Winter dann endgültig kommen würde, an diesem warmen Föhnsamstag im November. Aber dann hatte einer der Jungs seine schwache Blase dabei und wir hielten in Walchensee vor dem Bauernhof, wo in der Nähe der Einfahrt ein Fischbecken mit gläserner Frontscheibe stand.

Unser Freund verschwand auf der gegenüberliegenden Straßenseite in den Büschen und wir anderen stiegen auch ab. Die meisten drehten sich ein Zigarettchen oder begannen, über ihre Maschinen zu fachsimpeln. Ich ging hinüber zu dem Aquarium und betrachtete mit einigem Interesse die paar dürren Seesaiblinge, die zusammen mit einem halben Dutzend blasser Bürschlinge apathisch auf irgend etwas warteten und wollte eben anfangen, über das Leben als solches und das Sterben im besonderen zu philosophieren, als jemand hinter mich trat.

Er trug Stallkleidung, hatte einen verknitterten Trachtenhut auf und fragte mit einer Reibeisenstimme, ob ich denn nicht lieber richtige Fische sehen wolle. „Richtige Fische?“ Natürlich wollte ich das. Er zog mich zu dem Rundbecken, das neben dem Aquarium stand, und hob den Deckel herunter. Das Becken war aus dunklem Kunststoff und randvoll mit Wasser. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich erkannte, dass sich unten am Boden etwas bewegte. Dieses „Etwas“ war so groß, dass ich erst gar nicht draufkam, dass das ein einziger Fisch war. Der freundliche Mensch mit dem Trachtenhut streifte den Ärmel seiner Stalljacke hoch, griff hinein und packte das Ungetüm am Schwanzstiel. Er brachte es nicht bis über die Wasseroberfläche, aber es drehte sich auf die Seite und zeigte, dass es eine Seeforelle war. Eine dicke, fette, riesige Seeforelle, bestimmt einen halben Zentner schwer.

An mehr kann ich mich nicht erinnern von der damaligen Begegnung, auch wenn ich noch so sehr in meinem Gedächtnis krame. Heute weiß ich, dass der freundliche Mensch mit dem Trachtenhut Josef Rieger war, der Fischer vom Walchensee, der dort jedes Jahr ab Ende November Laichfischfänge auf die Seeforellen veranstaltete. Und dass solche „Karwenzmänner“ wie der eben beschriebene schon lange nicht mehr in den oberbayerischen Voralpenseen gefangen werden.


Udo Kempe mit einem bildhübschen Weibchen

Kirchliche Heirat oder nur Standesamt?

Wäre die Unterwasserwelt unserer Voralpenseen mit Worten zu beschreiben, dann wären die bläulich-grünen, stillen Räume, die sich neben den dunklen Steilabbrüchen der Felswände ins schier Unendliche öffnen, wie Kathedralen. Und die enger werdenden, bewegten und manchmal so zugigen Mündungstrichter der Zuflüsse, das wären die Sakristeien. Dorthinein zogen früher die Seeforellen, als ihnen das entgegenkommende Wasser noch behagte, als der Kies immer frisch hingeworfen war vom letzten Hochwasser, blitzsauber und schon mit einem leisen Flossenschlag zu bewegen, als ihnen noch keine Schwelle und kein Wehr unüberwindlich entgegenstanden wie zugesperrte Türen und als sie noch nicht sorgen mussten, dass alles, was sie vielleicht doch in die Welt gesetzt hatten, übers Jahr von gierigen Sägern und Kormoranen verschlungen werden würde.

Heute gibt es in oberbayerischen Gewässern keine gesicherte, natürliche Reproduktion der Seeforellen mehr – am Walchensee ebenso wenig wie am Starnberger See, am Chiemsee oder am Tegernsee. Die eben beschriebenen Kirchen haben geschlossen und der Begriff „Seeforellenseen“, den man in den letzten zwei Jahrzehnten ein wenig krampfhaft verordnet hatte, wurde mit Wirkung vom 1. April 2004 wieder fallen gelassen.

Das heißt aber nicht, dass man die Seeforellen nicht mehr schätzen und sich ihrer nicht mehr annehmen würde. Ganz im Gegenteil: Sie dürfen immer noch fleißig heiraten, und sie haben immer wieder Nachkommen. Aber das Procedere ist weltlich geworden – es findet nur noch im Standesamt statt. Eine fischereibiologische Säkularisation, gewissermaßen, etabliert in den Bruthäusern an den Ufern der Seen. Hochzeiten ohne große Gefühle und nicht besonders spektakulär, aber nachhaltig funktionierend. Die großen Elterntiere werden im Trockenen „gestreift“, wie man das schonende, unter Narkose stattfindende Entnehmen der jeweiligen Geschlechtsprodukte bei den Fischen nennt. Eier und Sperma werden dann in einem glatten Gefäß miteinander verrührt. Erst bei Wasserzugabe findet die Befruchtung statt. Aus den Eiern schlüpfen dann, im ständig laufenden Wasser, nach etwa zwei Monaten, die Brütlinge – nur wenige Millimeter groß.

 
Streifen im Bruthaus

Lotterie oder Planwirtschaft? 

Eines der größten Probleme in der künstlichen Erbrütung der Seeforellen war und ist die mangelnde Verfügbarkeit eines geeigneten Laichfischstammes. Der früher noch mögliche Zugriff auf Wildfänge ist inzwischen hier in Oberbayern ganz obsolet geworden. Gewiss, es gab auch früher schon Jahre, da gingen gar keine Laicher ins Netz, dann wieder nur Weibchen und keine geeigneter Milchner, oder nur zwei Männchen und sonst nichts. Inzwischen aber ist das an allen Seen die Regel, sogar am Walchensee, der früheren Domäne der Seeforelle. Und wenn wirklich ein paar „laufende“ Weibchen erbeutet werden sollten, dann sind sie alles andere als spektakulär: Mehr als zehn Pfund bringen sie in der Regel nicht mehr auf die Waage. 

Der Versuch, „wilde“ Seeforellen dauerhaft in teichwirtschaftlichen Anlagen zu halten, scheiterte immer wieder am Krankheitsrisiko älterer Fische und an ihrer Bissigkeit nach Eintritt der Geschlechtsreife. Die „domestizierten“ Formen dagegen, nolens volens stets die Produkte der Frühlaicher, waren an die vergleichsweise engen Teiche der Anlagen angepasst und hatten offensichtlich ihre Fähigkeit zum Riesenwachstum verloren. Vielleicht ist auch das einer der Gründe, warum die Seeforellen unserer Alpenseen inzwischen weit vor dem Erreichen des gesetzlichen Schonmaßes von 60 cm in die Geschlechtsreife treten. 

Was also tun? Eine Situation als unvermeidlich hinnehmen und das Schonmaß herabsetzen? Die Flüsse rückbauen, den Kies nicht mehr herausbaggern, die Kraftwerke schließen und die Hochwasserdämme schleifen? Oder die Segel streichen und ganz aufgeben?  

Zugnetzbewirtschaftete Elterntierhaltung 

Wenn es denn nur an den zu kleinen Refugien für die großwüchsigen Elterntiere liegen sollte, dachten wir, warum dann nicht in die Vollen gehen? Warum nicht einen See aussuchen, der nach Art und Umfang geeignet wäre, für ein paar Dutzend Seeforellen einen adäquaten Lebensraum zu bieten? Groß und tief genug sollte er sein, und abgeschlossen gegenüber Dritten, um die Fischwilderei zu verhindern. Füttern, wenn überhaupt, nur mit lebenden Fischen oder mit Naßfutter. Abfischen auf einen einzigen Schwung mit einem großen Zugnetz, dann die Laicher gestreift und zurückgesetzt in ihr Biotop bis zum nächsten Jahr. Substitution zu erwartender Abgänge durch die eigenen, nach Zeichnung und Wüchsigkeit aussortierten Nachkommen. 

Im Frühjahr 1987 erbettelten wir von Dr. Martin Bohl 200 Stück zwei- bis dreisömmerige Seeforellen, Nachkommenschaft von Wildfängen aus dem Walchensee, und brachten sie in jenen Baggersee ein, der im Gelände der Fischzucht Hammann im Landkreis Erding, innerhalb des eingezäunten Betriebsgeländes liegt. Der See weist ein steiles Trogprofil auf, ist 1.5 ha groß, im Schnitt 8 m tief und hat, wie das vorherige Absuchen des Bodens mit Tauchern ergab, keine Hindernisse am Boden aufliegen, die der Zugnetzfischerei entgegenstehen.


Der Baggersee im Landkreis Erding, mit ausgelegtem Zugnetz.

Dann das Zugnetz! Aus schwimmendem Polypropylen musste es sein, damit es sich nicht allzu sehr in den Bodenschlamm eingraben konnte. Die Stauhöhe sollte mindestens 12 m betragen und die Flügellänge je 80 m, damit das Abfischen auch wirklich mit einem einzigen Zug zu bewerkstelligen war. So etwas gab es natürlich nicht auf Lager, das musste angefertigt werden. Die Netzweberei Vogt schickte es uns nach ein paar Wochen Lieferzeit frei Hauptbahnhof München und wir Grünschnäbel fuhren fröhlich mit unserem Kombi bei der Lagerhalle vor, um es abzuholen. Der Gabelstapler warf uns eine Kiste hin, die größer war als unser Auto, und ließ uns allein damit. Entsetzlich! Wir fuhren wieder heim und holten den VW-Bus, den ich damals hatte. Er war zum Schlafen und Kochen eingerichtet; wir warfen alles heraus, was nicht niet- und nagelfest war, zogen das Netz aus seiner Transportkiste und stopften es mit letzter Mühe in den Transporter. Furchtbar! Etwas Sperrigeres und Verwirrenderes, sich überall Einhakendes und zuletzt doch nicht ganz in den Innenraum des Fahrzeugs Passendes hab ich auch später nie mehr erlebt. 

Irgendwann hatten wir das Ungetüm dann doch daheim und wieder aus dem Fahrzeug gepusselt. Sauber aufgeschossen lag es in einem luftigen Verschlag, bereit, am Ende des gleichen Jahres seine Bewährungsprobe abzuliefern. Denn wir wollten doch wissen, wie die Forellen inzwischen abgewachsen, mit ihrer Diät aus ein paar Tausend lebender Elritzen und den Schlachtabfällen aus der Fischzucht, waren. 

 

Durch die Lappen gegangen 

Die Zugnetzfischerei ist immer schon ein Kapitel für sich gewesen. Besonders dann, wenn man sie mit einem Netz ausübt, das man vorher noch nie in der Hand gehabt hatte und ein Gewässer befischen muss, das einem in dieser Form und zu einem solchen Zweck noch nie untergekommen war. Man kann Glück haben, bei solchen Erstunternehmungen, oder aber gnadenlos Schiffbruch erleiden.  

Am Morgen des Nikolaustages wuchteten wir das froststarre, an Stahlwolle gemahnende Kunstfasergarn mitsamt seinen Bleigewichten und Schwimmern auf der einen Seite des Sees ins nebeldampfende Wasser und zogen die Flügel mit Seilen auseinander. Das ließ sich zunächst gut an. Als es aber daran ging, den riesigen Fangsack nach und nach zu Wasser zu bringen, stießen wir an die Grenzen unseres Systems: Das Teil war mitsamt seinen Armierungen so schwer, dass es wie ein toter Walfisch auf der Steilhalde des Baggersees liegen bleiben und partout nicht in der Tiefe verschwinden wollte. Je mehr die Leute zu beiden Seiten an den Flügeln des Netzes zerrten, desto mehr hoben sich natürlich die Bodenleinen vom Grund; im Übergangsbereich der Steilhalde zum topfebenen Boden des Sees hin entstanden so – bei jedem „hau-ruck!“ – riesige offene Triangel im Fangsystem, durch die man bequem Lastwägen hätte hindurch schieben können. 

Als man endlich am anderen Ende des Sees angelangt und das Netz ausgezogen war, hatten wir – nichts. Nur ein paar dürre Seeforellen steckten matt zappelnd in den Flügeln und ein paar Krebse, die sich in die Bodenleine verwickelt hatten, winkten frech mit ihren Scheren. Die Zugmannschaften waren maßlos enttäuscht. Hatten wir ihnen nicht von ungeheuren Mengen riesiger Seeforellen erzählt, die sie mit einem einzigen Schwung auf vorher nie da gewesene Weise aus der Tiefe befördern würden? Waren sie nicht deshalb so früh aufgestanden und so weit hergefahren, an diesem nebligen, kalten Samstag?  

Wir versuchten, sie zu beruhigen und ihnen zu erklären, dass es nicht an der Absenz der Fische liegen würde, sondern an der Methode: Das gleichmäßige Trogprofil des künstlich angelegten Sees würde uns immer wieder die gleichen Probleme bereiten, egal, ob wir mehr oder weniger Blei an die Unterleinen hefteten und schneller oder langsamer machen würden, beim Ausziehen. Stets würde das Netz in dem Winkel zwischen Steilufer und Seeboden gelüftet und die Fische kämen dort aus. Denn sie sind ja nicht dumm, unsere oberbayerischen Seeforellen. 

 

Anleihe bei Hans Hass 

Wir grübelten ein Woche lang über diesem Problem und fragten Gott und die Welt um Rat. Alle hatten Tipps auf Lager, jeder einen anderen, noch besseren. Einig waren sie sich nur in einem: Dass die oberbayerischen Fischereifachberater keine Ahnung hätten. Typische Beamte eben. 

Die Lösung war dann ganz einfach. Umständlich zwar, aber doch einfach: Wir mobilisierten ein gutes Dutzend Sporttaucher, die abenteuerlustig, verwegen und gutmütig genug waren, nur für ein halbes Pfund warmen Leberkäse, zwei paar Weißwürste und eine Rohrnudel mitsamt dem Netz unter Wasser zu verschwinden. Ihre Aufgabe bestand darin, die Bodenleinen in den kritischen Bereichen zu begleiten und mitzuhelfen, sie unten zu halten. Darauf Acht zu geben, sich dabei nicht selbst zu verfangen und im übrigen immer dann, wenn doch eine Öffnung entstehen würde, diese gegen die andringenden Fischvölker zu verteidigen.


Der spannendste Moment zum Schluss: Was befindet sich im Netz

So deprimierend der erste Fehlversuch auch verlaufen war, so grandios war der Erfolg, den wir diesmal hatten. Es war einer der Höhepunkte meiner Laufbahn, hautnah mitzuerleben, wie zwanzig kapitale Seeforellen (die unter Wasser noch einmal um ein Drittel größer aussehen) immer wieder Anlauf nahmen, um die Linie zu durchbrechen, die man mit den Kameraden neben sich verteidigte, und wie sie blitzartig immer wieder kehrt machten, wenn ihnen das subaquatische Gebrüll einer Horde Taucher entgegenschlug. 

Diesmal war der Steert voll, als er ans Licht kam. Und so blieb es bis heute. Das Abfischen der Seeforellen am Nikolaustag im Landkreis Erding ist zum Kult geworden, bei dem sich jeder sehen lässt, der wichtig ist in der Szene. 

 

Nachwuchs für ganz Oberbayern 

Inzwischen ist diese „Seeforellenstation“ des Bezirks die einzige Stelle in Oberbayern, in der jedes Jahr zuverlässig rund 100 000 Seeforelleneier gestreift werden können. Die daraus zu gewinnenden Brütlinge gelangen – auf mehr oder minder verschlungenen Pfaden – bis nach Österreich an den Traunsee. Hauptsächlich aber sind sie für den Tegernsee, den Würmsee (Starnberger See), den Chiemsee und den Eibsee bestimmt. 

Dr. Peter Wißmath

 

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