Was Muscheln über die Seen wissen

Stumme Tiere erzählen eine dramatische Geschichte

Ulrich Mößlang der Tauchbrillenspezialist + zertifizierter Sport-Optiker

 

 Ulrich und, Florian Mößlang, Dr. P. Wißmath

Eigentlich, so denkt man, sind Muscheln doch reichlich langweilige Tiere: Immer am gleichen Ort, dunkelgrau bis schwarzbraun eingefärbt. Bewegungen, falls überhaupt, nur in Zeitlupe, wirtschaftliche Bedeutung gleich null.
Halt, war da nicht etwas mit Perlmutt? Egal, heute sind die Knöpfe aus Kunststoff. Austern und Miesmuscheln, nur im Salzwasser? Spaghetti vongole? Nur im Urlaub, oder beim Italiener um die Ecke. Dass es bei uns überhaupt Muscheln gibt oder gab, wissen nur ältere Menschen und ein paar eingeweihte jüngere, denn das in den Gründen unserer Flüsse und Seen verborgene Dasein dieser Tiere hat sich dem Interesse der Landbewohner immer schon weitestgehend entzogen. 

Vor ein paar Jahren haben sich Fischereisachverständige, Verbände und Behörden angeschickt, im Rahmen der so genannten „Fischartenkartierung“ Licht ins Dunkel zu bringen. Erst waren es nur die Fische, die in Bayern erhoben und gezählt werden sollten, um nach und nach einen Atlas zu füllen. Bald erkannte man jedoch, dass Muscheln besonders geeignet sind, nach Art und Vorkommen Rückschlüsse auf die Qualität und die Eigenarten eines Gewässers zu ziehen – weil sie weniger flüchtig sind als Fische und immer schön still halten.

Um Ordnung in die Einteilung zu schaffen und Wissen zu vermitteln, wurden die interessierten Sporttaucher durch Herrn Fischereidirektor  Dr. P. Wißmath unterwiesen und für bestimmte Abschnitte eingeteilt.


Natürlich fand der Vortrag in einer urigen Wirtschaft am Tegernsee statt


Einteilung der Abschnitte, die ansässigen Fischer fuhren die Taucher
an die sonst unzugänglichen Uferregionen.

Starnberger See und Tegernsee:

Zwischen 1995 und 2003 waren von der Fischereifachberatung des Bezirks Oberbayern mit Hilfe von Sporttauchern die Muschelbestände des Starnberger Sees und des Tegernsees erhoben worden. Die einstmals so reichen Muschelfaunen der beiden Seen erwiesen sich dabei als so gut wie erloschen, es fanden sich nur noch ausgedehnte Schalenfriedhöfe:


Bezirkstaucherin Guggemoos bei der genauen Kartierung im Tegernsee


Muschelfeld im Starnbergersee (Würmsee), im Sonnenlicht glänzen die Perlmuttflächen der verendeten Teich- und Malermuscheln wie Spiegel.

Der erste Grund:
Die Dreikantmuschel, die in den 60erJahren mit dem Bilgewasser der Sportboote Einzug bei uns hielt. Diese kleinen Schmarotzer lassen sich mit Vorliebe auf den Atmungsöffnungen unserer heimischen Großmuscheln nieder und ersticken sie nach und nach, wie ein mehrjähriger Feldversuch im Starnberger See ergab.
Der zweite Grund für das Verschwinden der Großmuscheln:
Die Seenreinhaltung. Inzwischen wissen wir, dass Muscheln, um gedeihen zu können, auf reichlichen, für sie verwertbaren Detritus angewiesen sind. Nach der Inbetriebnahme der Ringkanalisationen um den Starnberger See und den Tegernsee in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts  wurde die Nährstoffzufuhr zu diesen Seen dort offensichtlich so stark reduziert, dass die Muscheln verhungerten. Ihre vor fünfzig Jahren noch als riesig zu bezeichnenden Bestände wurden lt. ortsansässiger Bauern am See als Hühnerfutter verwendet. Die einst bis in Tiefen von über 10 m (!) vordrangen, sind inzwischen fast vollständig zusammengebrochen, wie die Untersuchungen erbrachten.

Ammersee: 

Gespannt auf die Befunde führte die Fischereifachberatung des Bezirks Oberbayern, unterstützt von oberbayerischen Sporttauchern, im Jahr 2004 eine Muschelkartierung des Ammersees durch.


Bezirkstaucherin Guggemoos (Mitte) mit der bewährten Tauchtruppe "kleiner Steinfisch"

Der Ammersee verfügt erst seit Mitte der 80er Jahre über eine Ringkanalisation, ist aber gleichzeitig durch einen starken, bei allfälligen Hochwassern immer noch stark mit Nährstoffen belasteten Zulauf gekennzeichnet. Trotzdem soll er, schenkt man den Berichten der Wasserwirtschaft Glauben, auf dem Weg zu einem nährstoffarmen Gewässer sein. Würden auch hier die Großmuscheln verhungert und ihr kläglicher Rest im Würgegriff der Dreikantmuschel sein?

Die Fischereifachleute, ebenso wie die Vielzahl der Mitarbeiter aus der Taucherzunft, standen anfangs vor einem Rätsel – man fand zunächst nämlich so gut wie gar nichts. Gewiss, pro fünf Quadratmeter ließen sich an bestimmten Stellen ein bis zwei junge Maler- oder Teichmuscheln entdecken, mehr tot als lebend unter den Wucherungen ihrer zugewanderten, „dreikantigen“ Verwandtschaft:


Links eine junge Teichmuschel, rechts eine junge Malermuschel


Die glatte Perlmuttinnenseite reflektiert die Sonnenstrahlen lange am Seegrund. Bei dieser Teichmuschel haben sich bereits zwei sehr kleine Dreikantmuscheln an der noch glatten, schillernden Fläche angesetzt. Zu sehen im rotem Kreis


Dies ist eine Teichmuschel, deren Scharnier zum Unterschied zur Malermuschel aus einer fasrigen Masse besteht, die nicht sehr stabil ist und bei einer Aushärtung an der Luft sehr zerbrechlich ist. Deutlich sieht man an der Außenschale den sauberen Bereich der sich bei lebenden Muscheln im Seeboden befindet und mit dem Muschelfuß, den sie auch zur Fortbewegung benützt verankert ist. Der bewachsene obere Teil ist auf dem Seegrund sichtbar und zur Nahrungsaufnahme geöffnet.


Auf diesem Bild ist eine Malermuschel zu sehen.
Die Muschel ist schmaler und wesentlich dicker. Aus diesen Muscheln wurden früher die Perlmuttknöpfe gefertigt und sie diente den Malern zum Anrühren ihrer Ölfarben. Außer an der Form ist dieser Muscheltyp am massiven Scharnier aus Muschelkalk im rotem Kreis zu erkennen.

Wo aber waren die vormals so ungeheuer ausgedehnten Muschelbänke hingekommen, die es auch im Ammersee gegeben haben musste und die im Tegernsee und im Starnberger See in Form der beschriebenen „Schalenfriedhöfe“ noch zu zeigen waren? Die Fachleute standen vor einem Rätsel. 

Im November 2004 wurde es gelöst – durch einen Zufall, wie zugegeben werden muss. Um größere Areale beproben zu können, war eine vom Motorboot aus betriebene Schleppvorrichtung eingesetzt worden, die Forschungstaucher über weite Strecken und vorgegebene Tiefen spedierte. Nachdem es lange über merkwürdig leere, unbewachsene Regionen dahingegangen war, griff Theo Kirchharz, mehr aus Langeweile denn aus Überzeugung, in das butterweiche bodenlose Sediment, um „Pflug“ zu spielen. Da geschah es: Wie bei der Kartoffelernte flogen Muschelschalen nach allen Seiten!  

Sofort war klar: Auch am Ammersee hat es vor einiger Zeit Unmengen von Muscheln gegeben, anders als am Tegernsee oder am Starnberger See sind sie aber nicht, leicht sichtbar für den Forschungstaucher, am Grunde liegen geblieben, sondern sie verschwanden unter dem Sediment – der Ammersee verlandet, und zwar in einem Tempo, das uns wohl erst jetzt so recht zu Bewusstsein kommt. Wenn wir, wie zu konstatieren ist, innerhalb von nur knapp zwei Jahrzehnten in der Herrschinger Bucht Auflandungen von etwa zwanzig Zentimetern zu beseitigen haben, um an die Relikte früherer Muschelbestände zu kommen, dann lässt sich leicht errechnen, wie lange diese Bucht überhaupt noch existieren wird. Die früheren Überschwemmungsgebiete des Ammerseezuflusses, der Ammer, sollten hochwasserfrei sein, deshalb wurde sie in den vergangenen hundert Jahren immer wieder aufs neue begradigt und tiefer gelegt. Die Abschwemmungen, die bei Starkregenereignissen aus den Feldern der Region in den Fluss erfolgen, gelangen jetzt viel rascher bis hinunter in die Mitte des Sees. Die Ammer weist an ihrer Mündung in den See kein Delta mehr auf, sondern schießt bei Hochwasser, von schnurgeraden Leitdämmen zielgerichtet, samt der mitgeführten Sedimentfrachten bis mitten hinein in die Herrschinger Bucht. Wir brauchen uns also nicht zu wundern, wenn inzwischen immer mehr Fischer darüber klagen, dass ihre Schiffshütten bei Niedrigwasser nicht mehr befahrbar und ihre Stege mit voll beladenem Kahn nicht mehr anzulaufen sind. 

 

Unterwasserarchäologie 

Wenn, wie zu belegen ist, unsere Teich- und Malermuscheln auf ein Mindestmaß an verfügbaren Nährstoffen angewiesen sind, um dichte Populationen auszubilden, und wenn wir weiter davon auszugehen haben, dass Gewässer wie der Starnberger See oder der Tegernsee wieder (fast) so sauber sind wie vor hundert Jahren – müsste dann nicht zu dokumentieren sein, dass in diesen Seen um die Wende des vorvorigen Jahrhunderts gar keine ausgedehnten Großmuschelbestände vorhanden waren? Dass es in ihnen erst dann zur Massenentwicklung heimischer Großmuscheln kam, als im Zuge der Industrialisierung, der dichteren Besiedelung der Talräume, der Mechanisierung der Landwirtschaft und des zunehmenden Fremdenverkehrs reichlich Nährstoffe ins Gewässer geschwemmt wurden? Und dass diese Entwicklung dann, nach 1970, plötzlich wieder zu Ende war? 

Mit dankenswerter Unterstützung des Starnberger Instituts f. Fischerei haben wir uns im November 2005 dieser Frage ausführlicher widmen können. Wir suchten uns eine geeignete Stelle am Südwestufer des Tegernsees, zwischen Bad Wiessee und Kaltenbrunn, wo in 6 bis 10 m Tiefe Leerschalen von Teich- und Malermuscheln auf dem Grund aufliegend anzutreffen waren. Wir markierten dort eine Fläche von 4 m² und steckten in diese Fläche Lattenpegel ein:


Versuchsfeld mit Lattenpegeln 

 

Mit einem speziell hergerichteten, kleinen Saugbagger arbeiteten wir uns dann vorsichtig in die Tiefe, wobei alle anfallenden Leerschalen in dem Areal belassen wurden :


Saugbagger in Aktion

Unterhalb einer „Abbautiefe“ von knapp 15 cm enthielt der Bodenschlamm keine Leerschalen mehr, und die im bereits winterkalten Wasser reichlich mühsamen Arbeiten konnten eingestellt werden


Abbaugebiet mit Lattenpegel



Insgesamt fanden sich auf der beschriebenen Fläche 29 Individuen, also immerhin > 7 Stück pro m²

 

Zeithorizonte: 

Was nun noch fehlt, wäre eine genaue Definition des Alters dieser 15 cm mächtigen Schlammschicht. Ein oder zwei Bohrkerne von jenem Platz, mit Hilfe einer Radionuklidmessung schichtweise altersbestimmt, könnten einen sehr exakten Zeithorizont abgeben. Wann genau haben die Muscheln im Tegernsee zu „boomen“ begonnen? 1850? 1900? 1910? Früher oder noch später?  

Jedenfalls wurden die perlmuttglänzenden Innenseiten der vorwiegend heimischen Muscheln zur Verzierung von Zimmern und Kirchen verwendet.

Es mag sein, dass man die Zeit der stürmischen Eutrophierung randalpiner Seen auch mit anderen Methoden als der beschriebenen nachvollziehen kann – wenn man mit hohem Aufwand und besonders sensiblen Messmethoden an die Sache herangeht und die Finanzmittel dafür aufbringt. So deutlich und auch für Laien so einfach nachvollziehbar wie die „Muschelgeschichte“ sind alle anderen Verfahren aber nicht. Und auch nicht so spannend.  

Zu ihren Lebzeiten haben wir uns so gut wie gar nicht um Anodonta und Unio sp. gekümmert. Jetzt, wo sie unsere großen Seen verlassen haben, widmen wir ihnen einen Nachruf und stellen sie unter Schutz. Ist es nicht merkwürdig? 

 

Fischereidirektor Dr. P. Wißmath, Ulrich und Florian Mößlang
Fotos (c) Wißmath, Mößlang, Mattner

 

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